Der alte Mann und das Reich der Mitte

Peter Müller kämpft für Menschenrechte und gegen die chinesischen Zwangsarbeitslager Laogai. (Foto: Birte Vogel)
Peter Müller kämpft für Menschenrechte und gegen die chinesischen Zwangsarbeitslager Laogai. (Foto: Birte Vogel)

Er ist un-ruhig, fröhlich und träumt von einer großen Modelleisenbahn. Er ist ein Freund klarer Worte und lässt sich einfach nicht abwimmeln. Er ist für eine Ohrfeige bis heute dankbar und seine Lieblingstrumpfkarte ist – sein Alter. Ein Besuch auf ein Tässchen Tee bei dem Bürgerpflichtler und Menschenrechtler Peter Müller in Bredenbeck bei Hannover.

„Ich bin nicht im Ruhestand! Wie können Sie mir das unterstellen, Verehrteste?“ ruft er mit gespielter Entrüstung, nimmt einen Schluck Tee aus dem zarten Porzellantässchen in seinen großen Händen, und setzt gleich darauf sein charmantestes Lächeln auf. Der heute 81-jährige Bredenbecker Peter Müller ist tatsächlich nicht gerade der personifizierte Durchschnittsrentner. „Als nächstes kommt wieder Berlin, dann Prag, Warschau, die baltischen Staaten. Wenn ich kann, auch Finnland, und dann immer so weiter.“

Bürgerpflicht nennt er das, was er tut, doch man kennt ihn in der europäischen Politik als unermüdlichen Kämpfer für die Menschenrechte. Dass dies ein Ehrenamt sei, weist Müller weit von sich. Das habe nichts mit Ehre und Ämtern zu tun, sondern es sei seine Pflicht als Bürger dieses Landes, sich für jene Menschen einzusetzen, die es selbst nicht könnten.

Ein Kampf auf einsamem Posten

Früher war der große, kräftige Mann mit den schlohweißen Haaren und der dröhnenden Stimme kaufmännischer Geschäftsführer und verkaufte chemisch-technische Produkte und Abwassertechnik in ganz Europa. Er vermisst diese Zeit nicht: „Ich habe jetzt ein besseres Produkt: Menschenrechte.“ Mit 11 Jahren bekam er einmal eine, wie er sagt, wunderbare Ohrfeige: „Wir lebten auf dem Lande wegen der Bomben. In einer Kiesgrube stand eine Baracke und wir schmissen Steine in ein Fenster. Das klirrte so schön, da haben wir gleich alle Scheiben eingeschmissen. Abends kam der Polizist, knallte mir eine und sagte: Das ist dafür, dass die russischen Kriegsgefangenen dort jetzt im Kalten schlafen müssen, weil ich kein neues Glas bekommen kann.“ Müller lacht und fügt hinzu: „Dem Kerl bin ich heute noch dankbar!“

Dieses Erlebnis prägte seinen Gerechtigkeitssinn. Und so engagiert er sich nun schon seit Jahren für Menschenrechte. Doch er kämpft auf einsamem Posten. Denn sein Gegner ist einer, dem sich kaum jemand ernsthaft zu stellen wagt: China.

Früher verkaufte Peter Müller Abwassertechnik. Heute kämpft er für Menschenrechte.
Früher verkaufte Peter Müller Abwassertechnik. Heute kämpft er für Menschenrechte.

Nicht erst seit der Vergabe des Friedensnobelpreises an den Schriftsteller und Menschenrechtler Liu Xiaobo im Jahr 2010 weiß die Weltgemeinschaft, dass der Schein Chinas teilweise trügt. Mit viel Hingabe pflegt das Reich der Mitte das Image einer aufstrebenden Wirtschaftsmacht, die sich dem Westen immer weiter öffnet. Hinter den Kulissen jedoch herrscht eine Politik, in der der einzelne Mensch nichts zählt, und die Masse nichts zu sagen hat. Wer es dennoch wagt, sich offen für Reformen auszusprechen und darauf hinzuweisen, dass die Menschenrechte auch in China ein festgeschriebenes Grundrecht sind, der wird zumeist erbarmungslos zum Schweigen gebracht. So sitzt Liu Xiaobo bereits zum dritten Mal im Gefängnis.

Waren aus Zwangsarbeit auch in deutschen Läden

Einer, der dies ebenfalls erlebt hat, ist der Exil-Chinese Harry Wu. Unter unmenschlichen Bedingungen hatte er 19 Jahre in einem Arbeitslager, einem sogenannten Laogai (deutsch: „Umerziehung durch Arbeit“), zubringen müssen – und das nur, weil er die Kommunistische Partei Chinas kritisiert hatte.

In diesen Arbeitslagern, fernab jeder Öffentlichkeit, müssen die Gefangenen auf Feldern, in vorsintflutlich ausgestatteten Kohleminen und Fabriken ohne Arbeitsschutz schuften, bis sie umfallen. Viele der von ihnen unter Zwang hergestellten Waren finden trotz Exportverbotes ihren Weg in die Warenhäuser dieser Welt. Auch in deutsche Läden. Was Politik und Medien seit vielen Jahren bekannt ist.

Über 900 Zwangsarbeitslager (Laogai) soll es in China geben. Die dort hergestellten Waren werden auch in Deutschland verkauft.
Über 900 Zwangsarbeitslager (Laogai) soll es in China geben. Die dort hergestellten Waren werden auch in Deutschland verkauft.

Heute lebt Harry Wu in den USA und hat sein Leben der Aufklärung und Bekanntmachung der Laogai gewidmet. Seine 1992 gegründete Laogai-Stiftung hat Beweise dafür, dass es über 900 solcher Zwangsarbeitslager gibt, in denen zwischen drei und fünf Millionen Menschen interniert sein sollen.

Peter Müller traf Harry Wu vor einigen Jahren. „Wir haben im Hotel zu Abend gegessen, er erzählte mir seine Geschichte, und wir verstanden uns auf Anhieb. ‘Peter, I like your style’, sagte er“, erzählt Müller. „Und ich dachte: dem Manne musst du helfen. Das ist nun wirklich mal was Handfestes. Es ist ein Wirtschaftsthema: davon verstehe ich was; das ist internationales Parkett: das habe ich ein halbes Leben lang gemacht.“ Und er war sich sicher: „Wenn ich als fröhlicher, halbwegs vernünftiger Menschenrechtler da hinkomme, dann nehmen die mich sofort viel ernster, als all die Langhaardackel, die ihnen da normalerweise über den Weg laufen.“ Nicht, dass er etwas gegen Langhaarige hätte, keineswegs, fügt er noch hinzu, aber er sei nun einmal keiner.

Laogai - ein Buch über die Zwangsarbeitslager in China (Agenda Verlag)
Laogai – ein Buch über die Zwangsarbeitslager in China (Agenda Verlag)

Seine Arbeit für die Laogai-Stiftung besteht nun vor allem daraus, die Existenz der Laogai in Europa bekannter zu machen und immer und immer wieder in den Parlamenten darauf zu dringen, den Import von Waren, die in diesen Lagern hergestellt werden, endlich zu verbieten. Denn die USA sind bislang weltweit das einzige Land, das die Einfuhr dieser Produkte verboten hat.

Das habe ich als kleiner Wicht erreicht

„Die Gefangenen sind entweder Intellektuelle oder Kriminelle, aber keine Facharbeiter“, sagt Müller. Deshalb werden in den Lagern zumeist sehr einfach herzustellende Waren produziert, darunter Plastikblumen, Spielzeug, Gummistiefel, Tee, Becher, Baseballkappen und Werkzeug. In einer Fernsehdokumentation deckte der WDR-Redakteur Jo Angerer bereits 1993 die verschlungenen Wege dieser Waren auf. Doch es dauerte noch vierzehn Jahre, bis die deutsche Regierung in einer Resolution die Laogai verurteilte. Folgen hat das keine.

Doch Peter Müller ist darüber sehr froh, denn allein diese Resolution ist für ihn schon ein großer Erfolg. Auch dass das Europäische Parlament vor 2010 über ein Importverbot diskutierte, ist vor allem auf Müllers beharrliche Arbeit zurückzuführen. „Das habe ich als kleiner Wicht erreicht“, sagt er. „Ich drücke immer und sage: Kinder, wenn ihr sagt, ihr könnt nichts dagegen tun, dann tut euch doch bitte mit dem amerikanischen Zoll zusammen. Die haben ein Gesetz gegen den Import und die haben eine Datenbank, nun fangt doch damit mal an!“

"Kinder, nun fangt doch mal an!" - Noch mit über 80 kämpft Peter Müller unermüdlich für die Einhaltung der Menschenrechte.
“Kinder, nun fangt doch mal an!” – Noch mit über 80 kämpft Peter Müller unermüdlich für die Einhaltung der Menschenrechte.

Viel Zeit für anderes bleibt ihm so kaum, höchstens für ein weiteres Herzensprojekt: Radio Humanity. Auf dieser Webseite stellt Müller Botschaften ehemaliger politischer Gefangener ein, die aktuellen Gefangenen übermitteln sollen, dass die Welt sie nicht vergisst. Wie Marina Nemat, die als 16-Jährige im Iran inhaftiert und gefoltert wurde, dort berichtet, sei die Angst, vergessen zu werden, das Schlimmste. Noch gibt es erst wenige Botschaften auf der Webseite, doch Müller sammelt weiter und wird die Aufnahmen dann dort einstellen. Sobald er dazu kommt.

Und wenn er doch mal ein ganz kurzes Päuschen einlegt, träumt Peter Müller von einer sehr großen Modelleisenbahn. Er weiß schon genau, wie sie aussehen soll … doch, ach, die Zeit! Denn der Bürgerpflichtler saust rastlos immer weiter durch Europa, spricht unermüdlich mit Abgeordneten und Menschenrechtlern aller Länder, schreibt emsig Briefe an die zuständigen Ministerien, und wenn es heute noch nicht klappt mit einem Importverbot, dann ganz bestimmt morgen. Sagt er und nimmt noch ein Schlückchen Tee aus der zarten Porzellantasse (made in Germany, versteht sich).

 

Weitere Informationen zu der Menschenrechtssituation in China und zu den Laogai finden Sie bei der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM).

Das Buch “Laogai” ist im Agenda Verlag erschienen.

 

Dieses Porträt teilen:

2 Gedanken zu „Der alte Mann und das Reich der Mitte“

  1. Ein interessanter Bericht über einen bemerkenswerten Menschen, der seine ihm noch verbliebenen Kräfte für eine sinnvolle Aufgabe einsetzt.

Kommentare sind geschlossen.