Mit bloßen Händen greift Dirk Noltemeyer in den Bienenstock, in dem es ein bisschen unheilvoll, aber auch irgendwie beruhigend summt. Er trägt weder Schutzbekleidung noch hat er einen Rauchapparat dabei, für den Fall, dass die Damen ausflippen.
Er bleibt ganz cool. „Es ist wichtig, sich ruhig zu verhalten‟, sagt er. „Mit ihren Facettenaugen nehmen sie Bewegungen viel schneller wahr als wir und fühlen sich dann bedroht.‟ Und tatsächlich: obwohl er die Waben auseinander drückt und dem Stock eine Wabe entnimmt, geschieht nichts. Die Bienen bleiben auf den Waben sitzen. Lediglich ihr Flügelschlag nimmt stark zu, aber nur, um die einströmende Kaltluft zu wärmen.
Er ist ein Schwärmer, dieser Imker. Schon gleich zu Beginn warnt er: „Sie müssen mich stoppen, wenn Sie wollen, dass ich aufhöre zu reden!‟ Denn die Natur sei so wunderschön, unglaublich komplex und dazu immer wieder so perfekt. Und weil viele Menschen das nicht sehen und begreifen (wollen), muss er es immer wieder sagen. Und das tut er, mit Inbrunst: „Für mich ist die Natur das Größte!‟
Vom Hals abwärts spürte er nichts mehr
Noltemeyer wuchs im 300 Seelen-Dörfchen Argestorf bei Hannover auf, lebte von klein auf in der Landwirtschaft und wurde später selbst Landwirtschaftsleiter – etwas anderes kam gar nicht in Frage. 1995 war er eines Tages mit seinem Trecker unterwegs und musste bei 35 km/h eine Vollbremsung einlegen. Er flog mit voller Wucht durch die Scheibe seines Treckers und wachte mit schweren Kopfverletzungen im Krankenhaus wieder auf. Vom Hals abwärts spürte er nichts mehr.
„Ich war bis dahin sehr sportlich gewesen‟, sagt er. „Von Freeclimbing über Zehnkampf und Schwimmen bis hin zum Handball habe ich alles gemacht. Meine Beine nicht mehr fühlen zu können, war das Schlimmste, was mir passieren konnte.‟
Doch abends spürte er auf einmal wieder ein Kribbeln in den Beinen. Ab da ging es bergauf. „Ich hatte mehr Glück als Verstand‟, sagt Noltemeyer und lacht, auch heute noch vor Erleichterung und Dankbarkeit. Denn er hat nicht nur diesen, sondern gleich noch zwei weitere schwere Unfälle lebend und halbwegs heile überstanden. „Ich lasse irgendwie nichts aus‟, sagt er und zuckt mit den Schultern. „Aber ich lebe mein Leben jetzt sehr intensiv und bewusst. Und‟, fügt er mit breitem Grinsen hinzu, „ich hab’ in weiser Voraussicht eine Krankenschwester geheiratet.‟
Hier sind drei Bücher. Lies!
Die Landwirtschaft musste er nach dem Treckerunfall aufgeben und wechselte beruflich ins Kaufmännische. Die Bienen wurden dann vor sieben Jahren sein Ersatz für die geliebte Landwirtschaft. „Ein Freund meiner Eltern wollte mir seine Imkerei vermachen‟, sagt Noltemeyer. „Ich sagte: ‘Ich hab aber keine Ahnung davon!’ Er sagte: ‘Macht nichts. Hier hast du drei Bücher. Lies!’‟
Drei Monate lang imkerten sie zusammen, und dann sagte der Freund: „Ich bin jetzt für ein paar Monate in Spanien. Wenn was ist, ruf an.‟ Als er zurückkehrte, fragte er, wieviel Honig Noltemeyer habe. Der hatte keinen Tropfen. Der Freund seufzte. Noch einmal half der Senior dem Nachwuchsimker und schickte ihn zu Fortbildungen ins Bieneninstitut Celle. Dort bestand Noltemeyer den Honigschein, denn er wollte seinen Honig nicht nur selber naschen, sondern andere von diesem Genuss ebenfalls profitieren lassen. Seitdem machen er und seine Bienen einen Honig, der ihm förmlich aus den Händen gerissen wird.
Mittlerweile hat Noltemeyer zehn Wirtschaftsvölker. „Aber ich schröpfe sie nicht‟, sagt er, denn er hält nichts davon, einen Bienenstock ganz auszubluten. „Man muss ihnen doch nicht auch noch den letzten Tropfen ihrer Arbeit nehmen‟, sagt er. Seinen Honig gewinnt er deshalb ausschließlich aus den oberen, unbebrüteten Zargen (Etagen) seiner Bienenstöcke.
Gestochen worden ist er trotz seiner Coolness doch schon ein paarmal. Gezählt hat er die Stiche nie, doch die Arbeitskollegen wissen schon, was Sache ist, wenn er mal mit einem zugeschwollenen Auge zur Arbeit kommt. Den Schutzanzug zieht Noltemeyer trotzdem erst am Ende der Saison an. „Da haben die alten Tanten nichts mehr zu tun‟, sagt er lachend, „und dann werden sie schon mal schneller etwas ungehalten.‟
Eine hochentwickelte Tierkultur
Wenn er von seinen Bienenvölkern spricht, dann immer voller Staunen und Bewunderung über dieses große Geschenk der Natur. „Schauen Sie sich nur einmal an, wie perfekt sie ihre Waben bauen!‟, sagt er. Und wirklich: sie sind sechseckig und wie mit dem Lineal gezogen. In manchen Zellen liegen bereits weißliche dicke Larven, in manchen die hauchzarten länglichen Eier.
Einige Zellen sind mit dem ersten Pollen des Jahres gefüllt, vom Krokus und den Winterlingen. In den entfernteren Zellen ist noch Honig vom letzten Jahr vorhanden, um die heranwachsende Brut zu füttern. Die Bienen krabbeln emsig auf den Waben hin und her, schlagen stark mit den Flügeln, um die Temperatur für ihren Nachwuchs auf 35°C zu halten, einige von ihnen kleben Waben zu („deckeln‟ genannt), andere gehen auf die Suche nach neuem Nektar und Pollen.
Was für das menschliche Auge wie ein heilloses Durcheinander aussieht, ist in Wirklichkeit eine hochentwickelte Tierkultur. Schon am Eingang des Bienenstocks werden die ankommenden Arbeiterinnen überprüft.
Sie müssen eine Probe ihres Pollens abgeben, der von anderen Arbeiterinnen auf seine Qualität untersucht wird. Nur wenn er von guter Qualität ist, darf die Biene ihn bei den Brutnestern abliefern. Sonst muss sie wieder losziehen und einer erfahreneren Arbeiterin folgen. Diese führt einen Schwänzeltanz auf, um der Kollegin Richtung und Entfernung der guten Pollenquelle zu zeigen. Die Unerfahrene kann daraus haargenau ablesen, wohin sie fliegen muss, um am Ende an der Haustür nicht wieder abgewiesen zu werden.
Beim ersten Tuten zieht die Alte aus
Auch die natürliche Auslese funktioniert bei den Bienen auf erstaunliche Weise. „Das Bienenvolk‟, so Noltemeyer, „ist ein Organismus, der sich selbst steuert.‟
Die Bienen regulieren die Schwarmgröße im Bienenstock genauso automatisch wie die Übergabe der Regentschaft. Die junge Königin, die zuerst ausgewachsen ist, gibt ein vernehmliches Tuten von sich. „Sogar das menschliche Ohr kann es hören‟, sagt der Imker.
Dieses Tuten ist für die alte Königin das Zeichen zum Auszug: beim ersten Tuten ist es Zeit für sie zu gehen. Doch zugleich ist es ein Signal für die anderen heranwachsenden Königinnen, dass sie zu spät dran sind. Die neue, junge Königin wird sie in Kürze erstechen, um dann ihrer eigentlichen Arbeit nachzugehen: zigtausende Eier zu legen. So brutal das klingt, löst sie damit doch ein großes Problem: die Konkurrentinnen würden ausschwärmen und zu viele Arbeiterinnen mitnehmen, sodass die wenigen im Stock Verbliebenen möglicherweise nicht überlebensfähig wären.
„Um überleben zu können‟, sagt Noltemeyer, „muss ein Schwarm mindestens 1.000 Bienen haben, denn die, die im Winter noch leben, müssen genügend Wärme für ihre Königin und sich selbst erzeugen. Sonst gehen sie ein.‟
Und wenn man im Frühjahr bereits Honig aus der Frühtracht ernten möchte, muss ein Volk mit mindestens 5.000 Bienen über den Winter kommen. Im Herbst haben Noltemeyers Völker bis zu 20.000 Bienen. Ein weiteres mit etwa 1.000 Bienen, das noch in einem kleinen Stock lebt, hält Noltemeyer als Reservevolk vor. Falls eine andere Königin den Winter nicht überstanden hat, kann er die Reservekönigin einsetzen, die dann wieder für eine Erstarkung des Volkes sorgen wird.
Das dramatische Bienensterben wird unterschätzt
So perfekt ausgeklügelt der Organismus Bienenschwarm sein mag, ist er dennoch sehr anfällig für Einflüsse von außen. 2008 starb deutschlandweit ein Drittel aller Bienenvölker (mehr als 40 Millionen Bienen). 2009/10 gab es ein erneutes Massensterben, nachdem Mais vor der Aussaat mit dem Beizmittel Clothianidin behandelt worden war – der Stoff wurde in den toten Bienen nachgewiesen. 2011 schlug sogar die UNO Alarm, denn Untersuchungen ergaben, dass das Bienensterben weltweit zu einem großen Problem geworden ist.
Die Gründe sind sehr vielfältig, doch die Situation ist dramatisch und wird nach Meinung vieler Experten unterschätzt. Denn die Biene ist das drittwichtigste Nutztier der Erde. Wenn sie aussterben sollte, wird auch der Mensch nicht überleben können, denn die Biene ist für die Bestäubung von 80 Prozent aller Blühpflanzenarten, also eines sehr großen Teils unserer Lebensmittel zuständig.
Durch die großflächige Ausbreitung der monokulturellen Landwirtschaft sind viele Blühpflanzen zurückgegangen. Dies und der starke Einsatz unterschiedlicher Pestizide und anderer Chemikalien in der Landwirtschaft hat zu einem teils starken Rückgang der Bienenpopulationen geführt. Doch auch der Befall durch die Varroamilbe, die amerikanische Faulbrut und andere Krankheiten können Ursachen dafür sein.
Zu niedrige Temperaturen sorgen im Frühjahr für eine verzögerte Blüte und, wie auch in diesem Frühjahr wieder, für tagsüber verschlossene Blüten bei Krokus und Winterling. Für die Bienen bedeutet das, dass sie auf ihre Vorräte zurückgreifen müssen – wenn die Imker ihnen überhaupt noch Vorräte gelassen haben.
Hobby-Imker Dirk Noltemeyer hat in den letzten Jahren sehr viele Bienen verloren – 2010 sogar fast die Hälfte seines Bestands. Und das, obwohl er seinen Bienen immer genügend Vorräte in den Stöcken lässt. Doch er setzt seine Hoffnung wieder auf die kommende Ernte. Im Garten seiner Eltern schräg gegenüber stehen schon die nächsten Bienenweiden bereit für den Ansturm. Jetzt muss es nur noch wärmer werden.
„Es ist einfach gigantisch, was die Natur so vollbringt‟, fängt er wieder an zu schwärmen. Denn, wie er bereits sagte: man muss ihn schon stoppen, damit er damit (für kurze Zeit) aufhört.
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(Wenn Sie den Bienen eine Weide in Ihrem Garten bieten möchten, dann finden Sie u. a. beim hier beim Imkerbund Informationen zu den dafür benötigten heimischen Pflanzen.)
Danke, sehr schöner Text. Mir sind die Bienen auch wichtig. Seit ich gehört habe, dass es noch drei Jahre dauert wenn die Bienen weg sind bis der Mensch auch nicht mehr leben kann achte ich noch mehr darauf, die Bienen zu schützen. Ich kaufe Honig nur noch beim heimischen Imker, meine Nahrung nur dort wo ich weiß, dass nicht gespritzt wird und die Blumen nur noch beim Bio-Gärtner. Ich habe gehört, dass die Billig-Blumen aus dem Baumarkt derart mit Gift behandelt werden, dass jede Biene die dran geht sofort tot umfällt… jeder kann also etwas für die Bienen tun.
Vielen Dank für das Feedback! Das mit den Bienen auf den Billigblumen aus dem Baumarkt stimmt so nicht ganz, aber für die Bienenpopulation ist es tatsächlich grundsätzlich gesünder, unbehandelte Blumen anzufliegen. Was in Wohngegenden oftmals viel schlimmer ist, sind die fehlenden Bienenweiden im Frühjahr (Krokus, Winterling usw.) und im Sommer, weil die Gärten immer kahler werden (weil alles, was blüht, ja Arbeit macht), und weil immer mehr Wert auf exotische Pflanzen gelegt wird, weil die einheimischen dagegen vermeintlich langweilig aussehen. Die exotischen werden aber von unseren Bienen nicht angeflogen.